Rechtsextremismus in Thüringen: Was hat das mit der AfD zu tun?

Die AfD und Rechtsextremismus – das sind zwei Wörter, die immer wieder im Zusammenhang miteinander genannt werden. Immerhin wird die AfD in Thüringen sogar vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistische Vereinigung geführt. Wiederholt mischen sich die Vertreter:innen der Partei mit rechtsextremistischen Positionen in die öffentliche Debatte ein.

Björn Höcke gilt als rechtsextremistischen, aber trifft das auch auf alle AfD-Wähler zu?

Foto 1: Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke gilt als rechtsextremistisch. Trifft das auch auf all seine AfD-Wähler:innen zu?

Während bei den Vertreter:innen die Frage nach ihrer rechtsextremistischen Gesinnung oftmals klar beantwortet werden kann, ist die Lage bei ihren Wählenden vielschichtig. Glücklicherweise gibt es einige ausführliche Untersuchungen zu rechtsextremen Einstellungen in der Thüringer Bevölkerung. Wir fassen für euch die wichtigsten Ergebnisse zusammen.

Der „Thüringen-Monitor“ ist der wichtigste politische Gradmesser in Thüringen. Er wird im Auftrag der Landesregierung von Wissenschaftler:innen der Uni Jena durchgeführt. Jahr für Jahr werden tausende Thüringer:innen unter anderem zu ihren Einstellungen gegenüber der Demokratie und möglichem rechtsextremen Gedankengut befragt. Die Forschenden unterscheiden zwei Schwerpunkte des Rechtsextremismus: den Ethnozentrismus und Neo-nationalsozialistische Einstellungen. Ethnozentristisch bedeutet, dass das deutsche Volk anderen Völkern überlegen wäre und durch die „Überfremdung“ vor Ausländer:innen geschützt werden müsse. In den Bereich neo-nationalsozialistischer Einstellungen fallen im Thüringen-Monitor Antisemitismus, Geschichtsrevisionismus, die Vorstellung von wertem und unwertem Leben und die Unterstützung einer rechten Diktatur.

Wo ist der Rechtsextremismus besonders verbreitet?

In Thüringen gibt es manche Kreise, wo die Zustimmung zu rechtsextremen Einstellungen besonders hoch ist. Die höchsten Werte erreichen Altenburger Land, Greiz, Saale-Orla-Kreis und der Kyffhäuserkreis von jeweils rund 25%. Schaut man auf die rechtsextremistischen Unterkategorien, so wird das Feld vielschichtiger: Im Altenburger Land, Saale-Orla-Kreis, Sonneberg und Kyffhäuserkreis erreichen ethnozentristische Aussagen Zustimmungswerte von rund 50%, das liegt deutlich über dem Thüringen-Durschnitt von 39%.

Landkreise, in denen der Rechtsextremismus besonders stark ist

Abb. 2-4: Landkreise, in denen die Zustimmung zu Ethnozentrismus (oben links), Neonazi-Einstellungen (oben rechts) und Rechtsextremis (unten) insgesamt deutlich über dem Thüringen-Schnitt liegt (TH-)

Während die Zustimmung zu ethnozentristischen Vorstellungen insgesamt sehr hoch ist, fällt die Verbreitung von Neonazi-Einstellungen deutlich geringer aus. Bei einem Thüringen-Durschnitt von 8% fallen die Zustimmungsraten im Altenburger Land, Greiz, Saalfeld-Rudolstadt und Wartburgkreis mit 10% am höchsten aus.

Rechtsextremismus-Spitzenreiter in Thüringen

Abb. 5: Rechtsextremismus-Spitzenreiter in Thüringen

Welche Rolle spielt die Ortsgröße?

Man kann sogar noch genauer schauen und untersuchen, ob rechtsextremistische Einstellungen eher in ländlichen oder städtischen Gebieten verbreiteter sind. Dabei fällt auf, dass Thüringenweit die Zustimmung zu rechtsextremistischen Aussagen besonders hoch in Ortschaften bis 5.000 Einwohner:innen ist. Im Altenburger Land z. B. steigt die Zustimmung in solchen Gemeinden auf über 30%, in Sonneberg von 20% auf 25%.

Besonders in ländlichen Regionen ist Rechtsextremismus tendenziell weiter verbreitet

Foto 6: Besonders in ländlichen Regionen ist Rechtsextremismus tendenziell weiter verbreitet (Steffen Petermann)

Heißt das, dass rechtsextreme Stimmen immer besser in kleinen Orten ankommen? Nein! Im Saale-Orla-Kreis kommen solche Aussagen in den vier Städten über 5.000 Einwohnern deutlich besser an als in den Dörfern drumherum ‒ in den Städten stieg die Zustimmung auf 36% gegenüber dem Durchschnitt von 25%.

Fassen wir also zusammen: Der Rechtsextremismus ist in Thüringen ziemlich verbreitet. Besonders im Osten Thüringens stimmen viele Menschen rechtsextremistischen Aussagen zu. In unserem letzten Artikel haben wir bereits gezeigt, dass in diesen Gebieten die AfD auch besonders erfolgreich bei vergangenen Wahlen war. Besonders der Ethnozentrismus ist sehr weit verbreitet. In kleineren Orten ist der Rechtsextremismus tendenziell stärker, obwohl es Ausnahmen wie zum Beispiel im Saale-Orla-Kreis gibt. Insgesamt ‒ und das geht oft in der Berichterstattung unter ‒ ist aber festzustellen, dass die Verbreitung von rechtsextremen Einstellungen in Thüringen über die Jahre immer weiter abgenommen hat und wahrscheinlich auch weiter abnehmen wird. Gerade die Zustimmung zu nationalsozialistischem Gedankengut ist momentan auf einem historisch niedrigem Niveau.

Die Verbreitung von Rechtsextremismus sinkt in Thüringen

Abb. 7: Entwicklung von Rechtsextremismus (blau), Ethnozentrismus (lila) und Neonazi-Einstellungen (schwarz) in den letzten zehn Jahren

Was hat das mit der AfD zu tun?

Gibt es nun also einen klaren Zusammenhang zwischen AfD-Wahlerfolg und rechtsextremistischen Einstellungen, die in der Bevölkerung verbreitet sind? Ja und Nein. Natürlich ist die AfD in Thüringen mittlerweile die parlamentarische Vertretung von rechtsextremistischen Einstellungen. Viele Rechtsextreme wählen die AfD, weil sie sich von ihr politische und parlamentarische Wirksamkeit versprechen. Der massive Erfolg der AfD jedoch beruht wohl eher auf der populistischen Einstellung der meisten Thüringer:innen.

„Wären alle AfD-Wähler:innen Rechtsextreme, so könnte die AfD auch nur 16% der Stimmen erreichen.“

Im Thüringen-Monitor kam nämlich auch raus, dass knapp 60% der Befragten populistisch sind. Populismus ist die Mischung aus Anti-Establishment-Haltung und der Idee eines kollektiven Volkswillen, der am besten durch direkte Demokratie ausgedrückt werden sollte. Verbunden ist damit ein großes Misstrauen gegenüber repräsentativen demokratischen Institutionen. Deshalb ist der Populismus besonders anschlussfähig an rechtsextremes Gedankengut.

Populismus und Rechtsextremismus in Thüringen

Abb. 8: Die Abbildung zeigt die Verbreitung von (Rechts-)populismus: 42% der Thüringer sind nicht populistisch (grau), 42% sind nur populistisch (blau), 16% sind populistisch und zugleich eindeutig rechts (braun und dunkelbraun).

Allerdings sind nur 16% der Thüringer:innen populistisch und hängen dabei gleichzeitig extrem rechten Ideen an. Wenn also alle AfD-Wähler:innen Rechtsextreme wären, so könnte die AfD auch nur maximal 16% der Stimmen in Thüringen erreichen. Bei derzeitigen Umfragen liegt die Partei in Thüringen aber bei über 30%.

Was gibt es für Lösungen?

Wie könnten die Parteien auf diese Zahlen reagieren? Aus den Ergebnissen des Thüringen-Monitors lassen sich eigentlich zwei Strategien ableiten: In den Städten kann es durchaus effektiv sein, die rechtsextreme Gesinnung der AfD-Funktionäre und Kandidat:innen aufzudecken und anzuprangern. Hier ist die Zustimmung zu rechtsextremen Positionen besonders gering. Man sollte dem Auftreten der AfD als gemäßigt und bürgerlich hier nicht auf den Leim gehen.

Außerdem müssen die weit verbreiteten populistischen Bedürfnisse der Bevölkerung irgendwie befriedigt werden. Auf kommunaler Ebene könnten dabei eine verstärkte Personalisierung der Wahlkämpfe und eine betonte Nähe der demokratischen Vertreter:innen helfen. Auch sollte man überlegen, ob direktdemokratische Elemente nicht zukünftig eine stärkere Rolle spielen können.

Red. Arvid

Die Zahlen im Überblick bei

Topografie des Rechtsextremismus im Überblick

Thüringen-Monitor 2022

Bildnachweise

Beitragsbild & Foto 1: Vincent Eisfeld, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons

Abb. 2-5+7: AB

Foto 6: Fotograf: Steffen Petermann, CC BY-SA 2.0 DE https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/de/deed.en, via Wikimedia Commons


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