Eingang zur Gedenkstätte Mittelbau-Dora

„Kein Konservativer, sondern ein extrem rechter Geschichtsrevisionist“

In seiner Rede zur Kundgebung gegen das „Bürgerfest“ der AfD warnt Jens-Christian Wagner, Direktor der „Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora“, vor der Wahl von Jörg Prophet zum Oberbürgermeister. Wir veröffentlichen hier die Rede von Wagner, damit sich jede:r über die rechtsextremen Positionen des Kandidaten ins Bilde setzen lassen kann. Zu einem Bericht über den vergangenen Samstag kommt ihr hier.

Die Rede vom 16. September 2023


In Nordhausen betrieben die Nationalsozialisten zwischen 1943 und 1945 eines ihrer grauenhaftesten Konzentrationslager. 60.000 Häftlinge aus ganz Europa haben in Mittelbau-Dora gelitten, 20.000 haben die Deportation nach Nordhausen nicht überlebt.

Dass die Überlebenden und ihre Angehörigen uns trotz ihrer grauenhaften Erfahrungen die Hand gereicht haben, ist den Bürgerinnen und Bürgern von Nordhausen und ganz maßgeblich auch den seit 1990 regierenden Oberbürgermeister:innen zu verdanken, die mit Offenheit, Geschichtsbewusstsein und der nötigen Portion Demut wie auch mit viel Sensibilität auf die Überlebenden zugegangen sind. Daraus sind Vertrauen und Freundschaften entstanden.

All dies droht nun mit der Wahl des OB-Kandidaten der AfD Jörg Prophet zerstört zu werden. Prophet inszeniert sich als vermeintlich sachorientierter konservativer Saubermann. Doch das ist er nicht, ganz im Gegenteil: Er ist weder Sauerbermann noch Konservativer. Lassen Sie mich einige Gründe nennen, die mich zu dieser Schlussfolgerung bringen.

Erstens, Herr Prophet gehört einer Partei an, deren Landesverband in Thüringen vom Verfassungschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft ist und die von Björn Höcke geführt wird, einem AfD-Politiker, der vor einigen Jahren eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ forderte und ein Remigrationsprojekt für Geflüchtete und andere Migrant:innen fordert, das nicht „ohne wohltemperierte Grausamkeit“ durchzusetzen sein werde, wie er in seinem Buch „Nie zweimal in denselben Fluß“ schrieb.

Höcke gilt als bundesweite Führungsfigur des rechtsextremen „Flügels“, einer innerparteilichen Gruppe, die sich offiziell vor drei Jahren aufgelöst hat, tatsächlich jedoch die Gesamtpartei mittlerweile dominiert. Auch die beiden Herren, die Herr Prophet sich heute als Wahlkampfhelfer eingeladen hat, gehören dieser Parteirichtung an. Ganz offensichtlich, anders kann man das gar nicht deuten, verortet sich Herr Prophet selbst in diesem Lager.

Zweitens, Herr Prophet hat offenkundig keinerlei Berührungsängste gegenüber expliziten Neonazis und Reichsbürgern, mit denen er auf Einladung des notorischen Antisemiten Jürgen Elsässer im August 2023 auf dem Sommerfest des rechtsextremen Compact-Magazins aufgetreten ist.

Drittens, Herr Prophet missbraucht noch vor seiner Wahl das Nordhäuser Rathaus für rechts-extreme Propaganda, indem er für das heutige „Bürgerfest“ vor dem Rathaus ausgerechnet jenen Maximilian Krah eingeladen hat, der dem rechtesten Rand seiner Partei angehört und der erst am vergangenen Wochenende mit einem dumpf-nationalistischen TikTok-Video für Entsetzen sorgte, in dem er den Stolz auf das Vaterland und unsere Ahnen beschwor und die NS-Verbrechen de facto leugnete.
Es ist derselbe Krah, der auf einem AfD-Parteitag in Sachsen ankündigte, man werde sich „den Weg freischießen“, und es ist derselbe Krah, der 2019 mit Guillaume Pradoura einen bekannten französischen Rechtsextremisten als wissenschaftlichen Mitarbeiter in seinem Büro im Europäischen Parlament einstellte, nachdem ihn die Rechtsradikale Marine le Pen vom Front National wegen antisemitischer Hetze als Mitarbeiter rausgeschmissen hatte.

Die genannten drei Punkte allein würden schon mehr als reichen, um zu zeigen, dass Jörg Prophet fest im rechtsextremen Milieu verankert ist und damit als Oberbürgermeister von Nordhausen nicht tragbar wäre. Prophet und seine Freunde Krah und Chrupalla sind keine Konservativen, sie wollen nichts bewahren, nichts konservieren. Nein, sie sind Rechtsextreme, die das Ziel haben, die liberale Demokratie hinwegzufegen. Und das dürfen wir ihnen nicht erlauben!

Jörg Prophets Weltbild

Mein vierter Punkt wiegt für die Erinnerungskultur in der Stadt Nordhausen und für die Arbeit der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora noch schwerer. Herr Prophet duldet nämlich nicht nur rechtsextreme und geschichtsrevisionistische Propaganda seiner Parteigenossen, sondern betreibt selbst Holocaust-Verharmlosung und verhöhnt die Opfer des NS-Terrors.

Beispielhaft dafür stelle ich Ihnen drei Pamphlete vor, die Herr Prophet 2020 und 2021 verfasst hat. Sie erfüllen alle Merkmale des extrem rechten Geschichtsrevisionismus, lassen keine rechtsextreme Geschichtslegende aus und machen deutlich, dass sich Prophet geschichtspolitisch in keinem Deut von seinem Parteichef Höcke unterscheidet.

Das erste Pamphlet trägt den Titel „Gedanken zum Jahrestag der Luftangriffe“ und wurde am 2.4.2020 von Jörg Prophet auf der Website der AfD Nordhausen veröffentlicht. Sie können es sich, wie auch die beiden folgenden Papiere, dort nach wie vor anschauen. Was ich Ihnen hier vorstelle, ist kein Geheimwissen, das wir uns investigativ verschafft haben. Nein, es ist für jeden offen im Internet zugänglich, und das seit Jahren.

Das Papier vom 2.4.2020 ist ein Machwerk aus Fake History, NS-Verharmlosung und rechtsextremen Chiffren bzw. Signalwörtern. Prophet schreibt, Deutschland sei von den Alliierten in Jalta „filetiert“ worden und greift den rechtsextremen Geschichtsmythos auf, die Alliierten hätten Deutschland zu einem Agrarland machen wollen (Stichwort Morgenthau-Plan). Bei der Befreiung des KZ Mittelbau-Dora hätten die Befreier, so Herr Prophet, „ihr wahres Gesicht“ gezeigt, als „sie sich das holten, was sie scheinbar antrieb: Vorsprung durch Inbesitznahme von Technologien des Tötens, um die eigene Stellung in der Welt zu sichern.“ Diese „Morallosigkeit“ werde nur durch die heutigen Sozialisten übertroffen.

Diese Sätze muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Hier bezichtigt jemand die amerikanischen Soldaten, die in Dora und in der Boelcke-Kaserne hier in der Stadt einige Hundert ausgezehrte KZ-Häftlinge befreiten und ihnen mit großer Hingebung medizinische Ersthilfe zukommen ließen, um ihr Leben zu retten, der „Morallosigkeit“ und des Zieles, sich deutsche Tötungstechnologien anzueignen. Das verhöhnt die KZ-Opfer wie die amerikanischen Befreier gleichermaßen und ist eines Mannes, der OB von Nordhausen werden möchte, mehr als unwürdig.
Dass in diesem ekelhaften Pamphlet auch vom „Schuldkult“ die Rede ist, mit dem Rechtsextreme von der NPD bis zur AfD seit Jahren die Erinnerungskultur und die Gedenkstättenarbeit diskreditieren, sei da nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

Das zweite Papier Prophets trägt den Titel „8. Mai – persönliche Gedanken“ und stammt vom 8.5.2020. Der Sozialist, schreibt Prophet darin, verneige sich am 8. Mai, also am Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges, „vor den offiziellen Stelen des Erinnerns“ (also etwa in Dora) und gedenke der Befreiung vom Nationalsozialismus. Er, Herr Prophet, habe da ganz andere Gedanken. Für ihn sei es der Tag der bedingungslosen Kapitulation und ihrer Folgen, den „politischen Opfern danach“.

Natürlich darf auch der Verweis auf die „Rheinwiesen“ nicht fehlen, seit den 1950er Jahren ein klassischer geschichtsrevisionistischer Mythos der Rechtsextremen, die mittels grotesk übertriebener Todeszahlen behaupten, die Amerikaner hätten im Frühjahr 1945 am Rhein einen „Holocaust“ an den deutschen Kriegsgefangenen begangen und tote deutsche Soldaten in KZ-Uniformen gesteckt, die sie dann in den befreiten Konzentrationslagern für Fotos drapiert hätten, um der SS Verbrechen in die Schuhe zu schieben. Prophet schreibt das nicht. Er lässt nur das Schlagwort von den Rheinwiesen fallen. Seine Klientel weiß schon, was damit gemeint ist.

Das gilt auch für sein Geraune vom nicht vorhandenen Friedensvertrag – ein ideologisches Andockangebot für seine Reichsbürgerfreunde vom Compact-Sommerfest.

Das dritte Schriftstück, das ich Ihnen vorstellen möchte, hat Prophet mit der Überschrift „Trauer um die Opfer von Dresden“ versehen. Es stammt vom 14. Februar 2021 und steht ebenfalls auf der Homepage der AfD Nordhausen.

Dieses Papier hat es derart in sich, dass es in den Thüringer Verfassungsschutzbericht 2021 aufgenommen wurde, auch wenn sein Autor Jörg Prophet darin nicht namentlich genannt wird. Vielleicht ist es deshalb von der Öffentlichkeit bislang noch nicht wirklich wahrgenommen worden.

Die britischen Luftangriffe auf Dresden, von Prophet „Morde von Dresden“ genannt, setzt er in seinem Papier mit Hiroshima und Auschwitz gleich – eine schamlose Relativierung des Holocaust und eigentlich Anlass für jede Staatsanwaltschaft, sofort ein Strafverfahren wegen Volksverhetzung gegen Prophet einzuleiten.
Die Briten, so Prophet, hätten in Dresden „Killermoral“ gezeigt. Diejenigen, die auf die deutsche Verantwortung für die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen hinweisen, diskreditiert er im schlimmsten rechtsextremen Jargon als „Systemlinge“ und „angepasste Mitläufer“ – auch das wieder eine Täter-Opfer-Umkehr und NS-Verharmlosung.

Schließlich schreibt Prophet in dem Papier, die Nazis seien keine Rechten, sondern Linke gewesen. Deshalb sei es „schizophren“, wenn der „linke Nationalsozialismus von damals“ heute als Argument „gegen den freiheitlichen Konservatismus von heute“ (damit meint er sich selbst) diene. Auch dies ist klassische Schuldabwehr und Täter-Opfer-Umkehr. So kommt denn auch der Verfassungsschutz, der das Papier auf drei Seiten politikwissenschaftlich auseinandernimmt, zu dem Ergebnis, dass sein Autor, also Jörg Prophet, ein „ein geschlossenes geschichtsrevisionistisches Weltbild“ habe – einer Einschätzung, der ich mich als Wissenschaftler zu 100 Prozent anschließen kann.

Folgen für die Gedenkstätte und Nordhausen

Solche Positionen sind ein Schlag ins Gesicht der NS-Opfer. Sie widersprechen dem demokratischen Grundkonsens der Bundesrepublik, der darin besteht, dass die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen grundlegend für unsere demokratische Selbstverständigung und Richtschnur unseres politischen und ethischen Handelns ist.

Deshalb gibt es unter den Überlebenden des KZ Mittelbau-Dora und ihren Angehörigen große Unruhe. Von mehreren Überlebendenverbänden haben uns in der „Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora“ in den vergangenen Tagen alarmierte und besorgte Schreiben erreicht. Manche Überlebende gehen soweit, dass sie ankündigen, nicht mehr nach Nordhausen zu kommen, um hier ihrer toten Mithäftlinge zu gedenken, wenn im Rathaus ein AfD-Mann und Geschichtsrevisionist regiert.

Was bedeutet das alles für uns in der Gedenkstätte Mittelbau-Dora? Vor allem, dass es seitens der Gedenkstätte keine Zusammenarbeit mit einem OB Prophet geben wird. Die Teilnahme an Gedenkveranstaltungen werden wir ihm nicht gestatten. Den Überlebenden und ihren Angehörigen möchten wir die Anwesenheit eines Geschichtsrevisionisten, der ihr Leiden relativiert und klein redet, nicht zumuten. Außerdem ist es unsere Aufgabe, zu verhindern, dass extrem rechte Diskurse normalisiert werden.

Im übrigen hört auch unsere parteipolitische Neutralität dort auf, wo unser gesetzlich definierter Stiftungszweck infrage gestellt und NS-Verbrechen verharmlost werden. Deshalb darf ich hier heute nicht nur stehen, sondern ich muss hier stehen und vor einer Wahl eines Geschichtsrevisionisten zum Bürgermeister einer Stadt warnen, deren große jüdische Gemeinde im Nationalsozialismus vernichtet wurde und in der 20.000 KZ-Häftlinge starben.

Das internationale Ansehen Nordhausens, das in den vergangenen 30 Jahren mühsam erarbeitet wurde, würde durch die Wahl eines Geschichtsrevisionisten zum Oberbürgermeister schweren Schaden nehmen. Aber ich hoffe, dass es nicht soweit kommt, denn verhindern können das die Wählerinnen und Wähler. Sie können dafür sorgen, dass Nordhausen eine liebenswerte, vielfältige und weltoffene Stadt bleibt, die sich ihrer historischen Verantwortung bewusst ist.

Jens-Christian Wagner ist Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und Professor für Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Er schrieb seine Doktorarbeit zu Mittelbau-Dora und leitete von 2001 bis 2014 die Gedenkstätte vor den Toren Nordhausens.

Die geschichtsrevisionistischen Äußerungen zum Nachlesen

Jörg Prophet, 3./4. April 1945, Gedanken zum Jahrestag der Luftangriffe auf Nordhausen, URL: http://www.afd-nordhausen.de/2020/04/02/3-4-april-1945-gedanken-zu-den-luftangriffen-auf-nordhausen/ (Stand: 17.09.2023)

Jörg Prophet, Der 8. Mai – meine persönlichen Gedanken, URL: https://www.afd-nordhausen.de/2020/05/08/der-8-mai-meine-persoenlichen-gedanken/ (Stand: 17.09.2023)

Jörg Prophet, Trauer um die Opfer von Dresden 1945, URL: https://www.afd-nordhausen.de/2021/02/14/trauer-um-die-opfer-von-dresden-1945/ (Stand: 17.09.2023)

Red. Arvid

Beitragsbild: JesterWrCC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons


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