Christen und Rechts: It’s all about sex, honey?!

In einer neuen Reihe wollen wir auf die Verbindungen von Religion und Politik schauen. Im ersten Beitrag gehen wir der Frage auf den Grund, warum ausgerechnet das Thema Sexualität so geeignet ist, um konservative Christen in die Arme von rechtspopulistischen Gruppen zu treiben.

Immer wieder beten Evangelikale in den USA öffentlich für das Seelenheil und den politischen Erfolg von Donald Trump. Doch nicht nur in den USA verbünden sich hoch religiöse Menschen mit rechtsextremen Politiker:innen. Auch in den deutschen „Bible Belts“, also Regionen, wo die religiöse Bindung der Bevölkerung besonders hoch ist, kommt es immer wieder zu unheilvollen Bündnissen: So waren die Anti-Corona-Proteste in Württemberg, dem sächsischem Erzgebirge oder in Südthüringen besonders groß.

In allen gesellschaftlichen Debatten kommt es wiederholt zu diesen gefährlichen Vermischungen aus hoch religiösen Menschen und rechtspopulistischen bis rechtsextremen Gruppierungen. Das ist erstaunlich, denn entgegen dem Außenbild, das die meisten Menschen von Religionen und besonders vom Christentum haben, sind zumindest Christen in Deutschland im Schnitt toleranter und aufgeschlossener als der Durchschnitt der Bevölkerung. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen immer wieder, dass Deutschland seine Kirchen für konservativer, rückständiger und intoleranter hält, als sie eigentlich sind.

Dennoch liebäugeln viele hoch religiöse Menschen mit rechtsextremen Positionen. Das liegt daran, dass die verschärften Debatten um gesellschaftliche Themen auch vor den Kirchen nicht halt machen. Besonders gut lässt sich das am Thema Sexualität sehen.

Sex und die Bibel: Da prallen Welten aufeinander

Unter den Christen gibt es einen großen Streit um den Umgang mit Sexualität und den damit verbunden Fragen nach Geschlechtsidentitäten, die von der heterosexuellen „Norm“ abweichen, und geschlechtergerechter Sprache. Besonders am Umgang mit Homosexualität entzünden sich die schärfsten Debatten. Das liegt auch daran, dass sich damit auch immer die Frage nach der Autorität der Bibel verbindet.

Albrecht Dürer: Adam und Eva

Sehr konservative bis fundamentalistische Christen vertreten hier den sogenannten Biblizismus, der im Bereich der Sexualität besonders rigoros ist. Da es in der Bibel einzelne Stellen gibt, die Homosexualität negativ bewerten, ist für sie die Sachlage glasklar: Homosexualität ist verboten und eine Sünde. Daran kann in zweifacher Hinsicht Kritik geübt werden: Erstens, einzelne Bibelstellen sollte man im Licht des gesamten Buches lesen. Wer einen Apfelkuchen backen möchte, wird beim Lesen des Rezepts auch merken, dass Äpfeln allein kein Kuchen zu backen ist. Nur im Zusammenspiel vieler Zutaten ergibt ein Rezept Sinn. Dann wird auch auffallen, dass manche Zutaten wichtiger sind als andere. Genauso verhält es sich mit einer Bibelstelle zu abertausend anderen.

Zweitens, die gesellschaftlichen Themen, die wir in der Bibel finden, sind andere, als wir sie heute diskutieren. Wenn in der Bibel etwas von Homosexualität steht, dann ist damit etwas ganz anderes gemeint als das, was wir heute unter Homosexualität verstehen. Vor 2000 Jahren waren homosexuelle Beziehungen unvorstellbar, die von Liebe und Treue gleich geprägt sind wie heterosexuelle Beziehungen. Genauso hat heutige Homosexualität nichts mit kultischer Prostitution in der Antike zu tun.

Gefährliche Wahlverwandtschaften: Konservative Christen driften nach rechts

Die Polarität innerhalb der Kirche zwischen „Liberalen“ und „Konservativen“ wird noch dadurch verschärft, dass in der Außendarstellung Kirche als so rückwärtsgewandt und intolerant wahrgenommen wird. Das nötigt die „Liberalen“ dazu, sich noch deutlicher abzugrenzen und die Gräben weiter zu vertiefen. Das wiederum stößt den „Konservativen“ noch mehr auf. Da die Kirchenleitungen überwiegend eine tolerante Lesart vertreten (so hat sich die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare in den evangelischen Kirchen in Deutschland durchgesetzt), sind biblizistische Christ:innen von ihren Kirchen enttäuscht. Sie wenden sich ab und schließen Wahlverwandtschaften mit rechten Gruppierungen, die gegen sexuelle Vielfalt kämpfen. Biblizistische Christ:innen und Rechte sind vereint im Kampf unter dem Genderstern.

Deshalb spricht die AfD regelmäßig vom „Gendergaga“ und macht queere Menschen verächtlich. Da sie generell gegen jede Form von „Establishment“ wettert, erklärt sie die großen Kirchen auch zu Steigbügelhaltern „linksgrüner Ideologen“. Das verfängt bei konservativ-fundamentalistischen Christ:innen, die sich von ihren Kirchen abgewendet haben.

Den Teufelskreis durchbrechen: Austausch über Sexualität

Diese Radikalisierung von konservativen Christen ist aber nicht zwingend. Es gibt gute Lösungsansätze, um ihr vorzubeugen. Radikalisierung vollzieht sich immer auch daran, dass ein Phänomen entmenschlicht wird. Es ist viel leichter „gegen Schwule“ zu sein als gegen meinen freundlichen Kollegen oder Klassenkameraden, der schwul ist. Durch die Begegnung mit anderen und mit mir fremden Lebenswelten, werden sie mir vertraut und ich nehme sie als weniger bedrohlich wahr. Kirche ist ein idealer Ort für solche Begegnungen! Kein Verein und keine Partei in Deutschland verbinden so viele unterschiedliche Menschen wie die christlichen Kirchen.

Auch in der Berichterstattung sollte man überlegen, ob Religion immer als rückwärtsgewandt, intolerant und ewig gestrig dargestellt werden muss. Ein Blick auf die Spiegel-Cover reicht, um das festzustellen. Solche Berichterstattung bildet nicht nur die Wirklichkeit nicht richtig ab, sondern heizt die Konflikte nur noch mehr an.

Red. Arvid

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Beitragsbild: dpa/DIE WELT

Dürer: wikimedia


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