Walter Grundmann: Christlicher Judenhass aus Überzeugung

Im zweiten Teil unserer Reihe zu Religion und Politik schauen wir in die Vergangenheit. Walter Grundmann steht exemplarisch dafür, wie christlicher Judenhass die mörderischen Taten der Nationalsozialisten legitimierte. Die Verstrickungen von Christ:innen blieben nach dem Zusammenbruch des NS-Regimeviel noch viel zu lange im Dunkeln ‒ mit Nachwirkungen bis heute.

„Er mag charismatisch gewesen sein, aber in Wirklichkeit war er ein ekliger, schmieriger Typ.“ Die sonst ruhige Archivarin findet Worte, die schneidender nicht sein könnten. Wir sind im Landeskirchlichen Archiv in Eisenach. Es geht um Walter Grundmann. Er war Theologe, Nazi, Stasi-Spitzel. Seine Bücher stehen bis heute in den Bibliotheken vieler Pfarrhäuser in ganz Deutschland.

Christlich erzogen, bald auf Abwegen

Walter Grundmann wurde 1906 im sächsischen Chemnitz aufgewachsen. Mit 20 Jahren fing er an Theologie zu studieren und erfüllte damit den Traum seines Vaters, der nie studieren konnte. Er studierte in Leipzig, Rostock und Tübingen bei namhaften Professoren und bei einem bleib er hängen: Gerhard Kittel, Professor für neutestamentliche Wissenschaft in Tübingen. Kittel machte Grundmann zu seinem Assistenten und förderte ihn zeit seines Lebens.

Im Gegensatz zu Grundmann kam Kittel aus einer gelehrten Theologenfamilie. Sein Vater war Professor und Herausgeber der ersten modernen, kritisch-wissenschaftlichen Ausgabe der Hebräischen Bibel, in deren Tradition bis heute die akademisch genutzte Hebräische Bibel steht. Der Sohn aber konnte mit der jüdischen Tradition nur wenig anfangen und entwickelte sich zu einem glühenden Antisemiten.

„Während er akademisch ein kleines Licht blieb, engagierte er sich eifrig bei den sogenannten Deutschen Christen.“

Walter Grundmann trat dann 1930 in die NSDAP ein, 1934 wurde er Mitglied der SS. Während er akademisch ein kleines Licht blieb, engagierte er sich eifrig bei den sogenannten „Deutschen Christen“. Das war eine Gruppierung innerhalb der evangelischen Kirchen, die sich besonders willfährig den Nationalsozialisten anschlossen und die Gleichschaltung und Unterwerfung unter die nationalsozialistische Ideologie in der Kirche vorantreiben wollten. Durch seine Mitarbeit bei den „Deutschen Christen“ stieg Grundmann schnell in kirchenleitende Funktionen auf und wurde 1938, ohne dass er dafür fachlich qualifiziert gewesen wäre, zum Professor für Neues Testament berufen.

Völlige Loslösung des Christentums von seinen jüdischen Ursprüngen

Was die „Deutschen Christen“ in der Kirche versuchten, wollte Grundmann nun auf „wissenschaftliche“ Art und Weise vorantreiben: Die völlige Loslösung des Christentums von seinen jüdischen Ursprüngen. Dafür wurde im Mai 1939 das „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“, kurz: das „Entjudungsinstitut“ gegründet. Und sie machten Ernst damit. Mit Walter Grundmann als Akademischem Direktor an der Spitze gab das „Institut“ ein von allen jüdischen Einflüssen „bereinigtes“ Neues Testament sowie ein „entjudetes“ Lehrbuch für den kirchlichen und schulischen Unterricht heraus und empfahl den Gemeinden ein neues Gesangbuch der „Deutschen Christen“, das frei von allen Bezügen zur jüdisch-alttestamentlichen Tradition war. Durch seine Arbeit lieferte das Institut auf „wissenschaftliche“ Weise Argumente für die Vernichtungspolitik der Nazis und legitimierte damit den Holocaust.

Obwohl das „Entjudungsinstitut“ im beschaulichen Eisenach seine Heimat hatte, war die Verstrickung von Religion und Nationalsozialismus kein Thüringer Sonderfall. Unter den Mitarbeitern und den Autoren der „wissenschaftlichen“ Beiträge des Instituts finden sich Pfarrer und Theologen aus ganz Deutschland. Ein Blick in die Listen des „Entjudungsinstituts“ offenbart das ganze Ausmaß der Verstrickung von evangelischen Christ:innen und dem nationalsozialistischem Staat.

Einmal Täter, immer Täter

Am Fall Grundmann zeigt sich aber auch, wie wenig die persönlichen und institutionellen Verstrickungen mit den Nazis im Nachkriegsdeutschland aufgearbeitet wurden. Grundmann war in der DDR weiterhin in der Lehre tätig und arbeitete sogar als „Inoffizieller Mitarbeiter“ für die Stasi. Wie konnte es dazu kommen?

Im Nachkriegsdeutschland versuchten die evangelischen Kirchen sich neu zu formieren. Dafür wurden Kirchenleitungen gewählt, die aus Mitgliedern bestanden, die während der Nazi-Zeit in kritische Distanz zum Regime gegangen waren. Das waren überwiegend Menschen, die sich in der „Bekennenden Kirche“ engagiert hatten. Die „Bekennende Kirche“ versuchte den Einfluss der „Deutschen Christen“ zurückzudrängen und wehrte sich gegen die staatliche Kirchenpolitik der Nazis.

Das Problem der DDR-Führung war nun, dass sich die neuen Kirchenleitungen aus dieser Tradition auch gegen die Einmischung der DDR in Kirchenangelegenheiten wehrten. Aus diesem Grund versuchte man, die Kirchen zu unterwandern. Ehemalige „Deutsche Christen“ wie Walter Grundmann, die sowieso einen Groll gegen die neuen Kirchenleitungen hegten, waren dafür überaus geeignet.

Aber auch die Kirche war nicht besser. Bei der Besetzung von neuen Stellen schaute sie oft auch nicht so genau auf die NS-Vergangenheit der Bewerber:innen. Zunächst aller Ämter enthoben, wurde Grundmann eine Anstellung als Pfarrer noch verweigert. Doch schon einige Jahre später wurde er wieder Pfarrer in Thüringen. Die neuen kirchlichen Hochschulen suchten ebenfalls Dozent:innen und so wurde Grundmann 1954 zum Leiter der Kirchenmusikschule in Eisenach. Wenig später schon begann seine Tätigkeit als Spitzel für die Stasi (1956‒1969). Er berichtete über kirchenleitende Persönlichkeiten in Ost und West, wofür er Geld und die Möglichkeit erhielt, an Konferenzen im Westen teilzunehmen.

Der lange Schatten des Walter Grundmann

In der DDR-Zeit schrieb Walter Grundmann mehrere Kommentare, also umfangreiche Auslegungen, zu Büchern des Neuen Testaments, die Pfarrer:innen für ihre eigene Arbeit als Vorlage benutzen. Diese Kommentare waren auch in der DDR erhältlich und erschwinglich (im Gegensatz zu „West-Literatur“) und wurden im Westen zu Spottpreisen verkauft. So landeten Grundmanns Werke in den Bibliotheken vieler Pfarrhäuser. Zwar vertrat Grundmann nun nicht mehr offensichtlich seine antisemitische Haltung aus NS-Zeiten, doch glaubwürdig hat sich Grundmann davon nie distanziert. Der Geist des Antisemitismus atmet auch in diesen Kommentaren weiter ‒ und sei es nur verdeckt.

„Lesen Sie ihn nicht“, beschwört uns die freundliche Archivarin in Eisenach: „Lesen Sie ihn nicht.“ Grundmann steht exemplarisch für ein dunkles Kapitel deutscher Kirchen- und Theologiegeschichte. Bei ihm kam christlicher Judenhass in seiner Reinform zu Geltung. Grundmann ist nur das prominenteste Beispiel für die Verstrickung von Christ:innen mit dem mörderischen Regime der Nazis. In den Personalakten des Archivs finden sich noch viele weitere, die bisher unbemerkt geblieben sind.

Red. Arvid

Bildnachweise

Beitragsbild: Mahnmal am ehemaligen „Entjudungsinstitut“, Axel Hindemith, wikimedia

Abb. 1: Walter Grundmann, Aktionsnetzwerk Jena

Abb. 2: Bundesarchiv, Bild 102-15234 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, wikimedia

Abb. 3: eigene Abb. (AB)

Abb. 4: Grundmann, Der Brief des Judas und der zweite Brief des Petrus, ThHK 15, 21979. ZVAB


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